Wednesday, February 23, 2011

1967 Die erste Reise zurück nach Eisenach


Wie ich schon hin und wieder in den anderen Kapiteln bemerkt habe, hatte ich oft große Sehnsucht nach Eisenach. Wir hatten natürlich regelmäßigen Briefkontakt mit den Großeltern Förstermann. Und ich hatte Kontakt mit zwei Schulfreunden, mit Karin H. und mit (mehr "Freund" als nur Schulfreund) Reinhard H. , so dass sich dieses Heimweh nicht nur auf Eisenach, die Wartburg und Umgebung bezog, sondern auch auf ein Wiedersehen mit R.

Also plante ich 1967 endlich im dritten Jahr meiner Lehrzeit eine Reise, wobei mir die Großeltern behilflich sein mußten. Sie beantragten ein Einreisevisum für einen zweiwöchigen Aufenthalt, schickten mir die Unterlagen dafür und endlich war es soweit im Sommer 1967. Dieser Antragsprozess hatte acht Wochen gedauert, soweit ich mich erinnere.
Ich war nun sehr gespannt auf die Stadt und die Leute und auf meine Reaktion darauf. Ein klein wenig nervös war ich schon auch wegen der Reise selbst, des langwierigen Grenzübertritts, über den man ja schon gehört hatte.
Würde es Schwierigkeiten geben, weil ich möglicherweise noch als "Republikflüchtling" galt?
Ich denke, dass diese Frage vor der Reise abgeklärt war, aber trotz allem war ich nervös.
Es war verboten, westdeutsche Zeitschriften oder bestimmte Bücher in die DDR einzuführen, aber ich brachte auf Rs. Bitte hin eine kleine Flasche Gin mit. Alkohol war erlaubt. Vermutlich hatte ich auch die DDR "Mangelwaren" Kaffe, Schokolade, Zigaretten, einige Zigarren und Zitronen für meine Großeltern dabei. Und vielleicht Lektüre in Form einer Zeitschrift, die ich dann einfach zurückließ, für die Grenzer, die sie sicher begierig lasen.
Der Zug auf dem Bahnsteig in Frankfurt war ein DDR Zug der sogenannten "Reichsbahn" (Was für ein absurder Name fuer ein "sozialistisches" Land) mit seinem charakteristischen "Ostgeruch" von Plastik, dort "Plaste" genannt, irgendwelchen Desinfektionssmitteln und Schmieröl oder Diesel vielleicht. Auf alle Fälle fiel dieser Geruch sofort auf, sobald man den Zug bestieg und in ein Abteil kam und er war immer gleich in allen Zügen, die ich auf meinen Reisen in die DDR in den folgendnen Jahren benutzte.
Es gab viele ältere Passagiere, die offensichtliche "DDR Reiseveteranen" waren. Sie hatten Taschen dabei, voll mit Kaffe, Kakao, Schokolade und anderen "Westsachen", die ihre Verwandten "drüben" wollten und schätzten.
Je näher wir an die Grenze kamen, desto aufgeregter wurde ich. Endlich erreichten wir Bebra, wo die elektrische "Westlokomotive" ausgetauscht wurde gegen die "Ostlok", eine Diesellokomotive.

(Dazu eine Erklärung aus Wikipedia: Nach dem Zweiten Weltkrieg verlagerte sich der Verkehr im Raum Bebra mehr in Nord-Süd-Richtung, da der Verkehr in Richtung Osten durch die nahe gelegene innerdeutsche Grenze weitgehend unterbrochen war. Bebra wurde allerdings Grenzbahnhof für Interzonenzüge in die DDR, Transitzüge und Militärzüge der Westmächte nach West-Berlin. In Bebra wurden die Züge von der Deutschen Bundesbahn an die Deutsche Reichsbahn mit Lokwechsel übergeben. Ab dem Sommerfahrplan 1973 geschah dies in Gerstungen. Die „Berliner Kurve“ (Nordroute, Gi.Fö.) wurde während der Zeit der deutschen Teilung nicht genutzt.

Zur weiteren Information: http://de.wikipedia.org/wiki/Innerdeutsche_Grenze#Einreise_auf_Einladung)

Von Bebra war es nur noch ein kurze Strecke bis nach Gerstungen, dem eigentlichen Grenzbahnhof. Wir näherten uns der Grenze, fuhren dabei mehrere Male von West nach Ost und umgekehrt, sahen die Wachtürme, den "Todesstreifen" der Grenze, das ganze Monstrum.
Wir fuhren in den Bahnhof von Gerstungen ein, allerdings war alles ohne Überdachung, es gab nur irgendwelche weißen Wände oder Absperrungen, so daß man nicht viel vom Bahnhof selbst sah. Wir hörten Stimmen, lautes Klopfen am Zug, dann wurden die Türen aufgerissen und mehrere Grenzer stiegen ein.

Außerdem sah man einen oder mehrere Grenzer mit Schäferhunden am Zug entlang gehen, der Hund wurde ab und zu unter die Wagen gelassen, vermutlich, um nach irgendwelcher Schmuggelware zu schnüffeln. Oder verbargen sich dort gar blinde Passagiere? Dann sah man Grenzer mit einer Leiter einsteigen. Sie wurde benutzt, um die oberen Teile der Gänge im Zug zu untersuchen.
Es war absurd, aber niemand grinste oder kicherte oder machte gar eine Bemerkung. Wir waren alle angespannt und mucksmäuschenstill. Die jungen Kerle, denn das waren sie meistens, manchmal aber auch Frauen, kamen näher und dann wurde die Abteiltür aufgerissen und "Passkontrolle" gebellt. Möglicherweise sagten sie auch "Guten Tag", aber vielleicht war das erst in späteren Jahren der Ost-West Entspannung der Fall.
Die Pässe wurden alle sehr sorgfältig geprüft und ab und zu wurden auch Fragen gestellt. Ich weiß jetzt nicht, ob ich mir das nur einbilde, aber es kann gut gewesen sein, dass ich bei dieser ersten Reise zurück in die DDR gefragt wurde, warum ich denn nach Eisenach fahren würde und wie lange. Ich gab natürlich brav Antwort und bekam dann den Pass mit einem Einreisestempel zurück. Als alle Passagiere kontrolliert worden waren, verließ der Grenzer das Abteil mit einem halbwegs freundlichen Gruß in sächsisch oder thüringisch: "Gute Weiterreise" und schob die Abteiltür zu. Dann kam jemand von der DDR Bank, um die Einreisegebühr, inoffiziell auch "Eintrittsgebühr" genannt, damals wohl noch keine festgelegte Gebühr pro Tag, einzusammeln und man konnte Geld tauschen, natürlich nur 1 zu 1.
Ich habe noch die Zettel, ich hatte 70 DM in 70 Ost Mark umgetauscht. Später wurde eine Tagesgebühr von 25 DM eingeführt, pro Aufenthalt von 10 Tagen z.B. waren das dann 250 DM pro Person. Das war teuer.









Man bekam Bescheinigungen für diesen Tausch, die man bei der Rückfahrt wieder vorzeigen mußte. Es durfte keine Ost Mark in den Westen ausgeführt werden, d.h. man war gezwungen, jeden Pfennig auszugeben, den man getauscht hatte. Möglicherweise mußte man auch Abrechnungen für Einkäufe vorlegen, um nachzusweisen, daß man das Geld auch ausgegeben hatte, bin aber nicht mehr sicher. Auf diese Weise kamen Devisen ins Land.
Kein schlechtes Geschäft für die DDR.

Das war aber noch nicht das Ende der Prozedur. Es kamen auch die Herren oder Damen vom Zoll, die nach illegalen Dingen fragten, die nicht eingeführt werden durften, vor allem Zeitungen, Zeitschriften und Bücher mit politischem Inhalt. Manchmal mußte man das auch durch Kofferöffnen beweisen.
Als ich1972 mit meiner Mutter, für sie das erste Mal nach der Flucht, nach Eisenach fuhr, stellte ihr der Zöllner irgendeine absurde Frage, entweder über ihren altmodischen Photoapparat, eine alte Rollei, oder über ihren Ring mit einem Aquamarin. Oder sie mußte den Koffer öffnen. Meine arme, sowieso schon nervöse Mutter war empört darüber. Ich bin sicher, dass die Grenzer und Zöllner solche nervösen Leute besonders gern unter die Lupe nahmen, weil sie auf diese Weise ihre Machtgefühle ausleben konnten. Ich mußte meine Mutter beruhigen und ihr klar machen, dass sie das nicht so ernst nehmen sollte. Aber ihre Empörung war natürlich berechtigt. Bloß war es nicht klug, sie den "Zollorganen" zu zeigen.

Nach einer guten Stunde waren die Grenzer endlich fertig mit ihrer Kontrolle und der Zug konnte weiterfahren. Allgemeine Erleichterung stellte sich ein. Man war nicht herauszitiert worden mit einem: "Kommse mal mit", bei dem die Opfer mit Koffern und allem aussteigen mußten und dann in einem Raum irgendwo auf dem Bahnsteig genauer unter die Lupe genommen wurden aus irgendeinem Grund. Es kann gut sein, dass ich das bei einer meiner Reisen nach "drüben" mal vom Zugfenster aus beobachtet habe und es mich sehr erschreckte. Was passierte mit den Leuten?

Aber damals, 1967, war meine Aufmerksamkeit auf die mir bekannten Dörfer Oberellen, Förtha und Unkeroda gerichtet, an denen der Zug dann vorbeifuhr. Von Förtha aus konnte man die Wartburg sehen, die bald weit oben über dem Zug auftauchte und mein Herz schneller schlagen ließ und mir die Tränen in die Augen trieb. Ich liebte diese Burg und nun sah ich sie wieder und würde auch bald dorthin gehen können, wo ich so lange nicht gewesen war.
Ich renkte mir fast den Hals aus, um soviel wie möglich von ihr zu sehen, dann aber fuhr der Zug durch einen Tunnel und danach durch das enge Georgental, von wo aus die Burg nicht mehr sichtbar war.
Da der Zug recht langsam fuhr, war es moeglich, alles etwas geruhsamer betrachten zu können. So fielen auch die grau-braunen Häuser und Gebäude in der Nähe des Eisenacher Bahnhofs auf. Es sah doch recht traurig und düster aus.



Der Eisenacher Bahnhof






Meine Oma Förstermann (Die Großeltern Fö. wurden von mir von Anfang an Oma und Opa genannt, im Unterschied zu den Großeltern Paulmann, die darauf bestanden, sie "Großvater und Großmutter" zu nennen. Hier also heißen die beiden , wie immer, Oma und Opa. Außerdem muss ich hinzufügen, dass die Oma Erna die zweite Frau meines Opas war, da die Mutter meines Vaters, die erste Frau vom Opa, schon 1929 gestorben war.) war auf dem Bahnsteig und es war für uns beide schön, uns wiederzusehen. Die Unterführung unter den Gleisen war immer noch schmutzig weiß gekachelt und in der Bahnhofshalle stank es wie eh und je nach den Toiletten und es sah auch genauso aus wie vor sieben Jahren, als wir, meine Mutter, ich und die Oma als "Fluchthelferin" Eisenach verlassen hatten. (Siehe das Kapitel über die Flucht in den Westen)

Oma machte mich darauf aufmerksam, dass es keine Straßenbahnen mehr gäbe und dass wir stattdessen mit dem Bus bis zum Prinzenteich fahren müßten. Wir stiegen in einen alten, stinkigen "Ikarus" (diese Busse kamen aus Ungarn) Bus ein, der uns in holpriger Fahrt zum Prinzenteich brachte.
Das Haus in der Kapellenstraße 1 sah noch genauso aus, nur viel weißer. Es war ja 1965-66 renoviert worden.





Auf die Rückseite des Fotos hatte mein Opa geschrieben:


Das "Weiße Haus am Kober See"


(Ein Herr Kober arbeitete in dem Kiosk am Prinzenteich und lieh die Boote aus, verkaufte auch Gemüse und Eiscreme.)


Und der Teich ist auch noch da, mit Blick zur Kapellenstraße





Der Opa wartete schon auf dem Balkon




Die Vitrine im Eßzimmer und der Kachelofen





Oma in ihrem Sessel am Fenster im Wohnzimmer








Das Eßzimmer vom Wohnzimmer aus




Es war sehr aufregend und schöen, endlich mal wieder in der Kapellenstraße zu sein, den Opa zu begrüßen und die Wohnung so unverändert zu finden. Es sah nicht nur genau wie früher aus, es roch auch wie früher nach Zigarren- und Zigarettenrauch, denn beide waren starke Raucher. Das war natürlich nicht unbedingt angenehm, aber es war mir vertraut.



Die Wohnung, die Chaiselongue im Eßzimmer, alles war noch am gleichen Ort






Ich kann mich noch sehr gut an die erste Nacht auf der oben abgebildeten Chaiselongue erinnern, denn die große Standuhr schlug regelmäßig und ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Ich stand auf und hielt irgendetwas Mechanisches an, um das Schlagen der Uhr zu verhindern und konnte endlich schlafen.
Allerdings war die Oma nicht sehr erfreut darüber, denn es war wohl nicht so einfach, die Uhr wieder in Gang zu bringen. Aber ich bestand darauf, damit ich schlafen konnte. Ich war ja nun wirklich nicht daran gewöhnt, mit einer Standuhr im Zimmer zu schlafen. Sie hielt mich immer für etwas verwöhnt, aber sie gab nach. Ich dankte ihr dafür.

Am nächsten Morgen mußte ich mich bei der Polizei in der Stadt melden, das gehörte zu der gesamten Einreise- und Anmeldeprozedur für Westdeutsche. Ich glaube, meine Oma begleitete mich in der Straßenbahn vom Marktplatz aus dorthin, irgendwo im häßlichen Mühlhäuser Straßen Viertel. Es ging zum Glück relativ schnell und ich konnte mich auch gleichzeitig abmelden, mußte also nicht noch einmal dort aufkreuzen.

Reinhard hatte mir regelmäßig Fotos geschickt über die Jahre, so wie ich ihm auch welche schickte. So konnten wir verfolgen, wie wir langsam aber sicher größer und "interessanter" wurden.



Reinhard im Jahr 1962 nach der Konfirmation im Ringleben

Auf dem Bauernhof seiner Großmutter




Er kam am folgenden Tag und es war ein freudiges Wiedersehen. Er war aus Weimar mit seinem Motorroller gekommen und wir fuhren dann auch bald über die Domstraße und Mönchstraße in die Innenstadt, damit ich sehen konnte, was sich verändert hatte oder auch nicht. Es gab mehrere geparkte Autos auf dem Marktplatz. Auf dem etwas älteren Foto unten sind noch Straßenbahnen zu sehen, die es aber vom Bahnhof aus ins Mariental nicht mehr gab.
Rückblickend muß ich sagen, dass mir Eisenach fast unverändert vorkam, es waren zwar sieben Jahre vergangen und vielleicht sah auch einiges anders aus oder auch heruntergekommener, aber ich war wohl zu glücklich, um genauer hinzuschauen.
Das habe ich erst bei späteren Reisen gemacht, bin dann auch in Läden gegangen und sah das magere Angebot oder hörte das berühmte "Hamwer nich, kommt auch nich rein!"
Das Schreibwarengeschäft am Markt schien nach wie vor die gleichen Sachen zu haben und die Buchhandlung in der Karlstraße hatte auch hauptsächlich Marx, Engels und Lenin anzubieten. Immerhin fand ich einen Stadtplan von Eisenach, den ich wie einen Schatz hüte.
Ich kaufte auch ein paar Mal in einem kleinen "Supermarkt"in der Marienstraße für meine Großeltern ein, wo es das Nötigste gab. Die Bäckereien hatten damals noch recht gute Brötchen, ich vermißte nicht allzu viel. Aber ich mußte ja auch nicht immer dort leben.
Reinhard in Weimar




Der Marktplatz


Wir machten auch Ausflüge zum Tennisplatz im Johannistal, zum Burschenschaftsdenkmal und zum Panoramaweg. Eine Tour zu Wartburg machten wir erst nach der Rückkehr aus Weimar. Ich habe es deshalb so im Kopf, weil die Fotos in dieser Reihe von mir eingeklebt wurden.





Das Haus Domstraße 18 sah damals leicht "vergammelt" aus, wurde aber später renoviert.






Auf der Bank am Panoramaweg, mit Blick auf die Stadt und zum Tennisplatz




Reinhards Familie hatte vor dem Umzug nach Weimar zuletzt in der Stöhrstraße gewohnt, wo ich ihn öfters besuchte, als wir noch in Eisenach wohnten. Es war ganz in der Nähe vom Panoramaweg. Wir strolchten oft dort oben herum. Es war eine wunderschöne Landschaft und vor allem sehr vertraut. Der Besuch in diese Gegend erinnerte auch an diese Vertrautheit.

Reinhard hatte einen Freund, Götz L., der gegenüber vom Prinzenteich wohnte. Eines Abend tranken wir zu dritt die von mir mitgebrachte kleine Flasche Gin fast aus. Allerdings verschwand Reinhard plötzlich und es war klar, daß ihm schlecht geworden war. Ich war etwas geschockt, dass er so ein bißchen Alkohol nicht vertrug. Aber im Grunde war das natürlich besser, als wenn er unendlich viel trinken konnte.

Zu Götz noch ein paar Worte: Von Reinhard erfuhr ich kürzlich, dass er zur Mitarbeit als "IM", "informeller Mitarbeiter" bei der Staatssicherheit gezwungen worden war, weil er beim Spiel mit alten Pistolen erwischt worden war. Vermutlich hatte das ein Nachbar gesehen und ihn angezeigt. Waffenbesitz war in der DDR strengstens veboten und er hätte zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden können. Anscheinend machte ihm dann die "Stasi" einen "Vorschlag", als IM fuer sie zu arbeiten oder ins Gefängnis zu kommen. Inzwischen ist Götz, der Arzt war, gestorben, er war wohl gerade 60 Jahre alt.

R. und ich fuhren dann nach ein paar Tagen mit dem Motorroller nach Weimar. Eine recht lange Fahrt für mich, da ich an diese Transportart nicht gewöhnt war. Ich merkte es an den Beinen und im Rücken. Aber es war billig und außerdem war es wohl auch die einzige Reisemöglichkeit.

Mir war es offiziell nicht erlaubt, nach Weimar zu fahren, ich durfte den Kreis Eisenach eigentlich nicht verlassen, da ich keine Aufenthaltserlaubnis für Weimar beantragt hatte. Die Hs. waren keine Verwandtschaft, ich hätte sicher gar keine Erlaubnis bekommen. Also machte ich etwas "Illegales". Ein bißchen "nervös war ich sicher, aber ich wollte ja auch Reinhards Familie sehen und mit ihm zusammen sein. Und Reinhard versicherte mir, dass sich kein Mensch um uns kümmern würde. Nach dem Motto "Don't worry about it." Das höre ich übrigens immer noch von meinem amerikanischen Ehemann. Es scheint eine typisch männliche Verdrängungsart im Falle möglicher Probleme zu sein und manchmal ist sie angebracht, manchmal nicht.

Ich kannte Weimar nicht, war aber auch nicht besonders beeindruckt, es hatte für mich nicht den "Charme" von Eisenach, vielleicht fehlte mir die hügelige Landschaft und natürlich die Vertrautheit.

An einem Wochenende fuhren wir mit der Familie und zwei ungarischen Freunden, die bei den Hs. zu Besuch waren, zur Gedenkstätte Buchenwald. Es war ein trauriger Ort, in einer monumentalen Anlage.

Ich habe noch andere Fotos von dem Ausflug und wir jungen Leute sehen irgendwie nicht gerade sehr betroffen aus. In unserer selbstbezogenen Jugend hatten wir wohl doch kein richtiges Gespür für die Tragik des Ortes. Oder es lag auch an der Präsentation und Monumentalität, die uns erdrückte. Jedenfalls fällt mir bei der Betrachtung dieser Fotos immer auf, wie trotzdem unbeschwert wir Jungen darauf aussehen.

Von einer Eisenacher Bekannten und Blog Leserin wird diese Beobachtung bestätigt. Sie schrieb mir: "In Sachen Buchenwald kann ich auch bestätigen, dass es bei jungen Leuten keinen Eindruck hinterließ".

Natürlich kannte Reinhard und seine Familie die Gedenkstätte. Sicher hatten sie schon viele Besucher dorthin begleitet.

Hier noch ein erwähnenswerter Zusatz von einem ehemaligen Eisenacher, jetzigem Erfurter und Blog Leser:

"Interessant ist die Erwähnung deines Besuches im KZ Buchenwald. Ein Besuch dieser Gedenkstätte auf dem Ettersberg war für nahezu alle Jugendlichen der DDR Pflichtübung. Für uns quasi in der Nachbarschaft Wohnenden sogar mehrmals. Wie alle staatlich indoktrinierten Wallfahrten war mir das lästig und suspekt, wenngleich diese Buchenwaldbesuche schon ein düsteres Bild hinterließen. Was jedoch nichts daran änderte, dass ich, wie sehr viele andere in meinem Alter, solche Pflichtausflüge mit ideologischer Berieselung nicht mochte.

Ich wäre niemals auf die Idee gekommen mit einer Freundin, und schon gar nicht mit einer Westfreundin, Buchenwald zu besuchen und ihr Thälmanns Todesplatz zu zeigen. Das wäre mir peinlich vorgekommen."

Meine Antwort darauf ist: Warum? Ich war mir doch bewußt, was oberhalb von Weimar vor sich gegangen war. Diesen Aspekt von Weimar konnte man ja nicht einfach ignorieren, das wäre meiner Meinung nach viel peinlicher gewesen.

Und weiter sagt mein Blogleser: "Möglicherweise hatten speziell die Bürger Weimars der 60er Jahre auch ein weniger von sozialistischer Propaganda, als von den realen Fakten geprägtes diesbezügliches Geschichtsbild, das sie ihren Kindern weiter vermittelten. Der kommandierende Offizier der amerikanischen Einheiten, die Buchenwald befreiten, war derart erschüttert von dem was sich ihm darstellte, dass er ein Exempel statuierte. Er ließ kurzerhand 1000 Weimarer auswählen und sie am 16. April 1945 von seinen Soldaten durch das KZ eskortieren. Das, was sie da zu sehen bekamen, hat deren von Goethe und Schiller geprägtes kulturelles Selbstverständnis vermutlich nachhaltiger verändert, als jegliche abstrakte Propaganda es je vermocht haben mag. So etwas Einschneidendes multipliziert sich natürlich in der Bürgerschaft."

Ich gehe bei Rs. Familie davon aus und hoffe, dass der Leser recht hat mit diesem Kommentar.

Noch etwas zu Reinhards Familie. Sein Vater sagte mir damals bei dem Besuch in Weimar, daß er in den Westen gegangen wäre, wenn seine Frau nicht so an ihrer Familie und dem Bauernhof in der Nähe von Erfurt gehangen hätte. Sie wollte nicht weggehen, also blieben sie in der DDR.



Reinhard, sein Vater und der ungarische Freund Peter




Das Denkmal in der Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar





Wir machten dann noch einige andere Ausflüge in und um Weimar herum, genossen das schöne Wetter und fuhren dann wieder zurück nach Eisenach. Auf dem Weg dorthin hielten wir in Erfurt und ich konnte wenigstens kurz die schönen Kirchen und Plätze der Stadt bewundern. Meine Oma Förstermann stammte aus Erfurt und sie vermißte die Stadt sehr, wie ich später von ihr hörte.



Wieder in Eisenach, machten wir endlich auch einen Wartburg Ausflug. Laut meinem Fotoalbum gingen wir an einem Morgen schon um 7 Uhr früh zur Burg, um sie "für uns allein" zu haben.
Wir hatten noch eine Woche zusammen, trafen uns jeden Tag und gingen viel spazieren. Dabei sprachen wir auch über "unsere Zukunft". Wie sollten wir einen engen Kontakt aufrecht erhalten, wenn wir uns nur so selten sehen konnten? Wir waren verliebt und wollten zusammen sein, bloß wie ließ sich das unter den bestehenden Bedingungen bewerkstelligen? Einer von uns beiden, ich weiß nicht mehr, wer, vermutlich Reinhard, schlug vor, daß ich doch wieder zurückkehren könnte in die DDR und wir könnten dann heiraten. Wir hatten tatsächlich diese Idee, daß das die beste Lösung wäre. Wir meinten das ganz ernst und planten auch schon unseren Haushalt und die Wohnungseinrichtung.

Reinhard erinnerte sich daran, als wir im Jahr 2008 wieder Kontakt aufnahmen und miteinander telefonierten. Wir waren eben mit zwanzig sehr naiv und glaubten auch eine Zeitlang an die Verwirklichung dieses Rückkehrplanes.

Ich weiß nicht mehr, wann ich anfing, daran zu zweifeln, vermutlich erst nach der Eisenach Reise oder vielleicht auch schon früher, als ich noch dort war.
Es gab schon kleine Hinweise darauf, dass eine Rückkehr in die DDR für mich recht schwierig gewesen wäre. Als R. und ich bei seiner Tante waren, bat ich ihn um Handtuch, das er mir auch gab. Ich fand, es roch komisch, nicht frisch gewaschen. Ich bat ihn um ein anderes Handtuch. Er gab mir noch eins, bemerkte aber, dass sie alle gleich röchen. Und in der Tat war das richtig. Es roch irgendwie nicht gut und ich fand das unangenehm. Ich war an besser riechende Handtücher gewöhnt. Das "Ostwaschpulver" war nicht so gut wie das im "goldenen Westen".

Und irgendwann kam mir auch der Gedanke an die häßlichen "Ostschuhe", die ich dann tragen müßte. Könnte ich mich wieder an die karge DDR gewöhnen? Damals verdrängte ich noch eine Weile diese Gedanken, aber sie waren doch vorhanden.

Reinhard und ich trafen uns ca ein halbes Jahr später, vom 30.12.1967 bis zum 7.1.1968, in Prag. Wir hatten große Sehnsucht nach einem baldigen Wiedersehen und das war die einzige Möglichkeit außer Eisenach und gleichzeitig auch ein aufregendes Abenteuer. R. hatte mir zu Weihnachten ein Buch von Prag geschickt, wovon ich sehr begeistert war und das ich sehr gern mit ihm zusammen sehen wollte.

Wir, d.h. meine Eltern, mußten von Frankfurt aus ein Hotel buchen, ich brauchte natürlich ein Visum und Reinhard ebenso. Wir bekamen beide diese Einreisegenehmigungen in die damalige Tschecheslowakei und trafen uns im Hotel "Solidarita" in Prag. Dieses Hotel war ein häßlicher Kasten weiter draußen in einem gesichtslosen Stadtteil, nicht in der Innenstadt von Prag. Aber es war wunderbar, uns so relativ bald nach den Sommerferien wiederzusehen.

Die Stadt war herrlich, wenn es auch winterlich kalt und oft düster war. Und es lag sogar Schnee. Wir erkundeten die Stadt zu Fuß, nach einer Busfahrt vom Hotel aus in die Innenstadt. Einige kleinere Läden in der Nähe der Orte, die wohl auch Touristen aufsuchten, waren gut bestückt, besser als in der DDR. Für Essen gaben wir ansonsten wenig Geld aus, ich kann mich an kein Restaurant erinnern, außer an eine der bekannten Bierkneipen, wo es für meine Begriffe aber etwas rauh zuging. Wir sahen auch einige alte Gebäude, die von außen mit Holzbalken abgestützt wurden, da sie offenbar einsturzgefährdet waren. Prag war groß, zum Teil noch recht mittelalterlich im Kern der Stadt, es gab aber auch viele Renaissance Gebäude und Barockkirchen.

Im Hotel wurde ich uebrigens schon kurz nach meiner Ankunft mehrmals von einem der dortigen Angestellten in Flüsterstimme angesprochen, ob ich nicht DM zu einem guten Wechselkurs in tschechische Kronen umtauschen wollte. Nein, das wollte ich nicht, denn ich mußte bei der Ausreise Rechenschaft über meine Finanzen geben.

Nun zeigte sich auch bald ein gewisse Änderung des Verhaltens zwischen uns. Ich hatte mir Hoffnungen auf mehr Nähe zwischen uns gemacht, aber wir waren beide noch so jungfräulich, dass wir nicht so recht wußten, wie wir das anstellen sollten. Ich hatte mich in der Buchhandlung mit Literatur zum Thema Sexualität versorgt, aber das half nun schon mal gar nichts. Auch hatte ich das Gefühl, dass Reinhard möglicherweise von seinen Eltern auf die Unmöglichkeit unserer Idee meiner Rückkehr in die DDR aufmerksam gemacht worden war. Oder ich projizierte meine eigenen Befürchtungen in dieser Hinsicht auf ihn. Wir sprachen jedenfalls nicht mehr von Heirat und eine leichte Anspannung machte sich zwischen uns bemerkbar. Am Ende der Woche schien es klar zu sein, dass aus unserer Beziehung nichts werden konnte. Außerdem waren wir auch viel zu jung damals, gerade mal 20 Jahre alt und kannten uns so gut auch nicht. Wir sprachen nicht so darüber, aber ich erinnere mich daran, dass es irgendwie traurig war und nicht so lief, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Wir fuhren beide wieder zurück in das geteilte Deutschland, schrieben uns wohl auch noch, aber nach und nach hörten wir immer weniger voneinander, was wohl u.a. auch daran lag, daß R. dann in der Armee war.

Ob ich meinen Eltern von diesem Plan einer Heirat mit R. irgendetwas erzählt hatte, ist mir nicht mehr in Erinnerung. Es war ja nun auch nicht mehr aktuell, denn ich hatte im Frühjahr 1968 meinen amerikanischen Freund Dave getroffen und damit war die innerdeutsche Liebesgeschichte vorbei. Ich schien mich von dem Heiratsplan, sicher auch dank meiner Jugend dann doch recht schnell verabschiedet zu haben, vielleicht, weil er so unrealistisch war und mir auch klar war, dass das nicht gut gegangen wäre. Mein Heimweh nach Eisenach hätte ich auf diese Weise in Heimweh nach dem Westen eingetauscht.

Ende April 1969 besuchte ich die Großeltern Förstermann und sah auch Reinhard zum letzten Mal.

Bei diesem Aufenthalt muß ich auch an einen eigenartigen Nachmittag mit mir unbekannten Freunden von R. denken. Wir saßen uns gegenüber, ich , die "Wessifrau" (diese Begriffe waren damals noch nicht gebräuchlich, soweit ich weiß) auf der einen Seite, die "Ossis" auf der anderen. Es herrschte eine gewisse Spannung und Konkurrenz, die sich in Vergleichen zwischen den verschiedenen Lebensstilen "hüben und drüben" zeigte. Ich denke, es machte mir die Entfernung zwischen den "Ossis" und "Wessis" bewußt, obwohl ich mich ja damals eigentlich eher den Ossis zugehörig fühlte, was diese aber ganz und gar nicht so sahen. Und was ja auch nicht mehr stimmte, ich war eine Außenseiterin, im Westen wie im Osten.

Bei dem gleichen Aufenthalt kamen auch ein Freund von R., Ulrich S. mit einem anderen jungen Mann zum Haus meines Großvaters, um mich zu bitten, Ost Mark in Westgeld umzutauschen und sie wollten auch über mich an Jeans und Perlonstrümpfe herankommen. Ich lehnte das natürlich ab. Erstens musste ich meine Finanzen an der Grenze darlegen und durfte, wie schon erwähnt, keine Ostmark in den Westen ausführen und zweitens kannte ich die Leute kaum oder gar nicht und fand es doch recht frech, mich um einen solchen Gefallen zu bitten. Für gute Freunde hätte ich zumindest Jeans besorgt, aber auch keinen Umtausch gemacht. Das war einfach zu gefährlich. U.S. war also einer der weniger angenehmen Leute, die ich in Eisenach traf.

Er schickte mir übrigens voriges Jahr über eine alte Eisenacher Feundin ein Foto des Grabes meiner Großmutter Margarethe F. und ich bedankte mich dafuer, woraufhin er mir antwortete: "Ich kannte Deinen Vater und Großvater - natürlich nur flüchtig. Erinnere mich aber an eine Geschichte, daß Dein Großvater mit irgendeiner Nazigröße bekannt war.... Blödsinn merkt man sich einfach. " Ich habe versucht, mehr von ihm darüber zu erfahren, habe aber nie wieder was von ihm gehört. Das paßt auch zu ihm. Reinhard bestätigte mir, daß U. so seine "Eigenheiten" hätte, die nicht jedem zusagten.

Als ich 1972 zusammen mit meiner Mutter nach Eisenach fuhr, sah ich R. nicht mehr, soweit ich mich erinnern kann.

Aber wir schienen immer noch Briefkontakt zu haben, denn er sagte mir am Telefon, dass er alle möglichen Briefe und Postkarten aus den Jahren nach 1968 von mir hätte. Ich hoffe, sie bald von ihm zu bekommen, wie er mir im Februar 2011 versprach.

Ein kleiner, komischer Zusatz zu dieser Geschichte: Reinhard erinnerte mich bei unserem letzten Telefongespräch wieder dran, dass seine Mutter damals nach meinem Besuch in Weimar zu ihm gesagt hätte, dass ich ja so dünn sei und ihm sicher kein "ordentliches Essen" kochen könnte. Da mag sie recht gehabt haben. Ich bin nie eine große Köchin geworden.


Copyright Gisela Förstermann 2011