Tuesday, February 16, 2010

Die Buchhändlerlehre von 1965 bis 1968







Römer und Paulskirche und die Neubauten zwischen Römer und Dom
Ende 80iger Jahre


Da mir das Goethe Gymnasium schon lange ein Dorn im Auge und ein Stein im Magen war und es feststand, dass ich mit der mittleren Reife abgehen würde, musste ich mich bald um eine Lehrstelle kümmern.

Im Herbst 1964 war ich auf der berühmten Frankfurter Buchmesse gewesen und sofort sehr begeistert. Oder vielleicht war ich auch eher geblendet von dem "Flair" und der Internationalität der Messe. Es gab so viele ausländische Verlage neben den zahlreichen deutschen Verlagen aus beiden Staaten und alles war hochinteressant für mich. Ich sah meine Zukunft im Buchhandel und stellte mir naiverweise vor, dann immer mit all diesen vielen "Intellektuellen", die auf der Messe herumrannten, zu tun zu haben.









Der Paulsplatz und das X, wo die "Buchhandlung am Römer" damals war

Durch meine Patentante fand ich dann auch eine Lehrstelle in der recht kleinen "Buchhandlung am Römer", deren Besitzer Frau Haase und ihr Bruder, Herr Reich, waren. Sie kamen, genau wie meine Tante auch, aus dem thüringischen Gera. Meine Tante hatte sich mit ihnen in Verbindung gesetzt und mich als Lehrling empfohlen .


Am 19.3.1965 bekam ich das Abschlußzeugnis des Goethe Gymnasiums für die mittlere Reife und am 1.4. begann ich die dreijährige Lehre bei Haase und Reich.

Ich fühlte mich fast erwachsen, verdiente ein bißchen Geld, 120.00 DM pro Monat im ersten Lehrjahr, 140.00 DM im zweiten und 180.00 DM im dritten Lehrjahr. Es war wenig und ich wohnte natürlich weiterhin bei meinen Eltern, aber es war ein Schritt weg von der ungeliebten Schule und hin zu einem Beruf.

In einem alten Lebenslauf, den ich Anfang der siebziger Jahre geschrieben habe, steht folgendes: Ich versprach mir (von der Lehre) die Möglichkeit, auf eigene, nicht reglementierte Initiative lernen zu können. Mit einer gewissen Naivität glaubte ich überdies, mit Hilfe der Literatur, zu der ich Kontakt bekommen würde, mir vieles aneignen zu können, was ich auf der Schule nicht lernen könnte. Während meiner dreijährigen Lehrzeit las ich sehr viel, ging häufig ins Theater und Kunstausstellungen, hörte in einem sechswöchigen Kurs auf der Buchhändlerschule Frankfurt/ Seckbach ausführliche Literaturgeschichte und ging an einem Tag pro Woche auf die Berufsschule, wo ich mit den kaufmännischen Gepflogenheiten des Handels, speziell des Buchhandels vertraut gemacht wurde. 1968 beendete ich die Lehre mit dem "Kaufmannsgehilfenbrief ".

Das war in Kürze die Buchhändlerlehre, deren Verlauf ich nun ein bißchen ausführlicher beschreiben möchte.

Die "Buchhandlung am Römer" war eigentlich gar nicht am "Römer", dem Rathaus der Stadt, sondern am Paulsplatz, auf dem Weg zum Römer.

Der Laden war recht klein und hatte im Keller neben einem weiteren Verkaufsraum für Taschenbücher auch einen kleinen, engen Lagerraum mit verschiebbaren Regalen und eine alte Tischtennisplatte, die als Arbeitsplatte für uns Lehrlinge gedacht war. Es gab ein Kellerfenster zur Straße hin, durch das man die Passanten, den Verkehr und später auch den Lärm der U-Bahnbaustellen hörte. Mich graust es immer noch etwas , wenn ich an diesen Keller denke. Vor allem das Kellerfenster mit einer Vertiefung darunter war sehr schmutzig und irgendwie eklig. Der ganze Straßendreck schien dort zu landen.

Es gab außerdem einen engen Gang zu einem Waschbecken und einer Kochplatte, auf dem Tee gekocht wurde. Die Toilette war auch im Keller, außerhalb des buchhändlerischen Kellers. In dieser Unterwelt roch es öfters sehr übel, besonders bei schlechtem Wetter, was wohl mit Abwassern und Ratten zu tun hatte, die in dem Keller hausten. Wir waren ja nicht so sehr weit vom Main entfernt und diese Kellergewölbe gingen von der Berliner Straße bis zur Braubachstraße und möglicherweise noch weiter unter dem Römerberg hinweg bis zum Fluss. Diese Unterkellerung gehörte ziemlich sicher zu den 1944 im Krieg zerstörten alten Häusern in der Frankfurter Altstadt, die bis dahin mehr oder weniger intakt die Jahrhunderte überstanden hatte.

Das Personal der Buchhandlung bestand damals aus Frau Gunne Haase, Herrn Jürgen Reich, zwei älteren Lehrlingen und mir. Ab und zu kam auch eine nette alte Dame, ihr Name war, glaube, ich Frau Krüger, die sich um Buchhaltungsangelegenheiten kümmerte. Die zwei älteren Lehrlinge, weiblichen und männlichen Geschlechts, arbeiteten wohl noch ein Jahr, bevor sie ihren Abschluss machten. Die junge Frau, schon verheiratet und dann auch schwanger, schien eher langweilig und ein bißchen spießig zu sein, während der männliche Lehrling, Herr Steinmann, interessanter war und mehr im Kopf hatte. Allerdings schien er eine eher negative oder sehr kritische Lebenseinstellung zu haben, die mir ja selber so fremd nicht war. Er drückte auch Mißfallen an den Besitzern und dem Buchhandelsgewerbe selbst aus.


In meinem zweiten Lehrjahr kamen zwei neue Lehrlinge hinzu, Margot S. und ein männlicher Lehrling, er hieß Mossmann mit Nachnamen. Leider habe ich seinen Vornamen vergessen. Wir riefen ihn "Mossmännsche" im Frankfurter Dialekt, den er selber sprach. Sie waren beide "Originale"und hatten möglicherweise einen anderen Hintergrund als ich. Margot hatte auch einen Freund, obwohl sie jünger, aber schon wesentlich weiter war in dieser Hinsicht als ich.




Margot S. und Heinrich G. in Paris

Wir waren 1972 zusammen dortin gefahren


Der männliche Lehrling, "Mossmännsche", war ein etwas bulliger, aber gutmütiger Typ mit einem Augenfehler, Margot ein von ihrer Statur her sehr kleine Person, die aber nicht auf den Mund gefallen war und immer gerne auf die Toilette ging, "um eine zu rauchen". Margot führte ein, mich "Fö" zu rufen anstatt meinen Vornamen zu benutzen, weil ich meinen Nachnamen immer so abkürzte. Ich hatte nichts dagegen. Wir drei verstanden uns recht gut und waren eine Art "Front" gegen Haase und Reich. Wir hatten oft Spaß miteinander, manchmal auf Kosten der Besitzer oder auch der Kunden. Wir waren eben "klassische" Lehrlinge der nächsten Generation und nicht so "brav" wie die vorherigen Lehrlinge.

Es muß für die Besitzer nicht immer so ganz leicht gewesen sein, mit uns "Halbstarken" umzugehen. Die arme Frau Haase war in ihren frühen Fünfzigern und litt wohl sehr unter ihrer Menopause, dem Klimakterium, wie man damals auch sagte. Sie hatte Migräneanfälle und es war ihr oft schlecht davon, dementsprechend müssen wir ihr zeitweilig sehr auf die Nerven gegangen sein. Aber wir, in unserem Unverstand, machten uns eher über sie lustig oder waren sauer, wenn sie uns wegen irgendeiner Nichtigkeit anraunzte.

Sie schien auch ein bißchen "falsch" oder "künstlich" zu sein, wenn sie freundlich war. Dazu muss man aber auch sagen, dass sie ein schweres Schicksal hinter sich hatte. Ihr erster Mann kam nicht aus dem Krieg zurück und sie heiratete erneut. Nicht viel später kam der erste Mann doch zurück, vermutlich aus der Gefangenschaft. Man kann davon ausgehen, dass das traumatisch und sehr schwierig für sie war und sie geprägt hat. Vielleicht erinnerten wir sie an ihre Jugend, die so tragisch verlaufen war. Wir hatten es im Vergleich zu ihr viel leichter, was sie uns aber nicht zum Vorwurf machen konnte und sollte.

Margot trug gerne sehr kurze Mini-Kleider, wie es damals Mode war. Wenn sie auf eine Leiter stieg, um ein Buch aus einem oberen Regal zu holen, konnte man ihr leicht unter den Rock kucken, so dass es ihr verboten wurde, so zur Arbeit zu erscheinen. Ich kann mich nicht erinnern, ob sie sich daran gehalten hat, vermutlich nicht immer. Sie lachte über die "Alten", machte ihre thüringische Aussprache nach und ließ sich insgesamt von ihnen nicht unterkriegen. Ich war gegen die "Alten" nicht so immun.

Was alles lernte ich nun in meiner Lehre?

Am ersten Tag bekam ich einen Staublappen in die Hand gedrückt, mit dem ich jeden Morgen die im Laden ausgestellten Bücher abstauben musste. Bei der Gelegenheit lernte ich auch nach und nach, was die Buchhandlung im Sortiment hatte und wo ich welche Bücher finden würde. Neben den üblichen Romanen, Kinderbüchern, Kunst- und anderen Sachbüchern führte die Buchhandlung auch Sachbücher und Zeitschriften über Architektur.

Kunden konnte ich natürlich nicht sofort bedienen, aber guten Tag sagen durfte ich, wenn ich im oberen Verkaufsraum war.

Jeden Morgen kamen Pakete mit bestellten Büchern von dem Buchgroßhändler Libri in Stuttgart. Diese Pakete musste ich unten im Keller auspacken, mit der Rechnung vergleichen und mit dem richtigen Preis auszeichnen. Dann mussten die Kunden gefunden werden, für die sie bestellt worden waren. Diese Bücher wurden dann in ein Regal beim Schreibtisch von Herrn Reich im oberen Verkaufsraum gestellt. Eine etwas langweilige Arbeit, aber oft waren doch interessante Bücher in den Paketen, in die ich auch hineinschaute.

Da der Laden auch Zeitschriften verkaufte, musste ich die älteren, nicht verkauften Exemplare zusammenbündeln und die neuen Ausgaben auslegen.

Morgens nach der Ladenöffnung um 9 Uhr wurden mehrere Regale mit Sonderangeboten und sogenannten "verramschten" Büchern in den Eingang und vor das Schaufenster gestellt. Es waren oft billige Ausgaben von Klassikern oder sonstige Bücher, die zu Ladenhütern geworden waren. Außerdem stand auch ein Drehstand mit Merian Heften und Postkarten vor dem Eingang zum Laden. Es sah etwas billig aus und war recht eng. Die Nähe zum Römer brachte uns aber auch Touristen als Kunden, die in den Laden gelockt werden sollten.

Pakete von Verlagen mit neuen Büchern wurden ausgepackt, mit Preisen versehen und in die Regale gestellt. Das war in gewisser Weise eine der interessanteren Arbeiten, weil ich lernte, was der Laden führte. Ich durfte auch Bücher mit nachhause nehmen, um sie zu lesen. Der Buchhändler sollte ja wissen, was er verkaufte. Und da ich sehr wißbegierig war, las sich auch eine Menge, zum Teil waren es Empfehlungen von den Chefs oder die Titel waren interessant oder ich hatte schon einmal etwas davon gehört. Ich las auch eine kleine Literaturgeschichte von Hermann Glaser, "Weltliteratur der Gegenwart", ein Büchlein vom Ullstein Verlag, das ich immer noch habe. Da er ja immer noch schreibt, bin ich ihm auch treu geblieben.

Irgendwann im Verlauf jedes Morgens machte einer von uns Lehrlingen Wasser heiß für Tee für Frau Haase. Sie mochte starken schwarzen Tee und es war ein tägliches Ritual, ihr eine Tasse zum Schreibtisch im unteren Verkaufsraum zu bringen. Wir alle tranken diesen Tee, der uns wahrscheinlich auch auf Trapp hielt.

Mit der Zeit wurde ich in die Geheimnisse der Kundenbedienung eingeweiht und damit auch in die Arbeit an der Kasse. Ich lernte, in großen Katalogen und Bibliografien Autoren und Buchtitel nachzuschlagen und die Bücher dann zu bestellen. Natürlich ging das damals alles manuell, von der Welt der Computer waren wir noch weit entfernt und alles dauerte entsprechend lang. Aber der Service von Libri in Stuttgart war so gut, dass man die per Telefon bestellten Bücher meistens schon am nächsten Tag hatte.

In den Morgenstunden von 9:00 bis 12:00 Uhr gab es oft weniger Kunden als später am Tag. Das hieß dann für uns Lehrlinge, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, eben zum Beispiel Staub zu wischen, Bücher einzuräumen und im allgemeinen beschäftigt auszusehen, wenn einer der " Lehrherren" im Laden war. Es war des öfteren langweilig, ich hatte aber doch ab und zu die Gelegenheit, in Bücher zu schauen und sogar etwas darin zu lesen. Herr Reich schien weniger etwas dagegen zu haben als seine Schwester. Er war überhaupt der etwas umgänglichere der beiden und weniger muffig zu uns als sie.

Er war ungefähr Mitte 30 oder vielleicht auch knapp 40 Jahre alt. Er war ziemlich groß und schlank, aber im Gesicht hatte er ein bisschen Babyspeck, jedoch eine spitze Nase, etwas vorstehende Zähne und auf dem Kopf einen etwas schütteren Haarwuchs. Wir Lehrlinge dachten ab und zu, dass er vielleicht auch homosexuell wäre. Dann stellte sich aber heraus, dass er eine Freundin hatte und dann auch verheiratet war und seine Frau bald ein Kind erwartete.

Im übrigen trug unser Chef ausschließlich hellgraue Anzüge, ein weißes Hemd und einen blauen Schlips. Ich habe nie etwas anderes an ihm gesehen, er sah immer gleich aus.

Herr Reich, den Margot häufig in übertriebener sächsischer Aussprache "Jürrgen" nannte, natürlich nicht vor ihm, aber unter uns Lehrlingen, war derjenige, der uns die Feinheiten des Umgangs mit den Kunden beibrachte. Das "guten Tag" und "bitte schön" oder "kann ich Ihnen helfen? " waren selbstverständlich, aber auch das Aufhalten, der Tür, wenn ein Kunde den Laden verließ. Ich hatte das im letzten Lehrjahr einmal versäumt und Herr Reich schob mich doch tatsächlich quer durch den Laden zur Tür, damit ich das noch tun würde. Da der Kunde schon halb aus dem Laden raus war, war mir das besonders peinlich. Ich habe "Jürrgen" dafür gehasst.
Ich glaube, das ist auch einer der Gründe gewesen, warum ich im letzten Lehrjahr daran dachte, in eine andere Frankfurter Buchhandlung überzuwechseln und den Abschluss dort zu machen.
Ich führte diesen Plan nicht aus, weil diese Aktion und Umstellung wahrscheinlich noch schwieriger gewesen wäre als die restliche Zeit bei Haase und Reich abzusitzen.
Ich glaube, es war im zweiten Lehrjahr, als ich einmal ein Gespräch mit ihm im Keller über irgend ein Thema, vielleicht die Arbeit im Buchhandel, hatte. Denn er sagte folgendes zu mir, das ich bis jetzt noch im Kopf habe: "Ach, wissense, Froiln Förstermann, Bücher zu verkoofen, is genauso wie Heringe zu verkoofen." Ich war doch sehr erstaunt, dass er den hehren Buchhandel mit so etwas profanem wie Heringsverkauf verglich. Er ging wohl davon aus, dass ich irgendwelche Illusionen über diesen Beruf hatte. Ich denke, die waren mir schon längst abhanden gekommen, doch wenigstens rochen Bücher besser als Heringe. Oder vielleicht verging mir auch durch seine Bemerkung der letzte Rest von Illusionen über den Buchhandel.


Die Hauptwache


Wir Lehrlinge hatten eine recht lange Mittagspause, nämlich zwei Stunden. Ich ging öfters nachhause für diese zwei Stunden, bei schönem, warmen Wetter setzte ich mich gerne auf eine Bank am Main und las.
Ganz angenehm war auch, dass ich oft den Auftrag bekam, Zeitschriften zu Kunden zu bringen. Ich lief also vom Paulsplatz ins Bahnhofsviertel, wo ein Kunde sein Büro hatte. Das war keine kurze Strecke, sondern konnte bis zu einer Stunde dauern. Ich war offensichtlich billiger als Gebühren bei der Post.

Mir war das sehr recht, denn dann konnte ich Luft schnappen und bei schönem Wetter habe ich es richtig genossen, durch die Stadt zu laufen. Ich fand ja im Grunde Frankfurt recht hässlich, aber diese Gänge machten mir Spaß und gaben mir auch einen näheren Einblick in die geschäftige Stadt, die ich bisher so nicht erforscht hatte.
Außerdem ging ich auch sehr häufig vor Ladenschluß, 6:30 Uhr, zur Hauptpost auf der Zeil, zog dabei ein Einkaufswägelchen mit Bücherpaketen hinter mir her, um diese dann auf der Post abzuschicken. Manchmal zog ich diese kleinen Ausflüge auch in die Länge, so dass ich irgendwann später mit einer anderen Auszubildenden zusammen zur Post ging. So hatten die Chefs mehr Kontrolle über mich.

Wie im Einzelhandel so üblich, war die Vorweihnachtszeit besonders anstrengend, weil alle Welt Geschenke für Weihnachten kaufte. Der kleine Laden war voller Kunden, die bedient werden wollten. Um zusätzliche Hilfe von den sich im Keller aufhaltenden Lehrlingen oder anderem Personal zu bekommen, gab es überall im oberen Ladenraum Klingelknöpfe in den Bücherregalen und an der Kasse. Diese wurden dann betätigt und schnarrten unten im Keller. Das hieß für uns, nach oben zu rennen.
Es hat zum Teil Spaß gemacht und der Tag ging schneller herum, aber wir waren alle erledigt am Ende des Weihnachtsgeschäfts.
Herr Mossmann brachte auch einmal eine Flasche Whisky mit, die er irgendwo im Keller im unteren Arbeitsraum versteckte und von der wir ab und zu ein paar Schlucke nahmen. Ob die Kunden oder die Chefs das gerochen haben, weiß ich nicht. Wir schienen jedenfalls das Weihnachtsgeschäft mit etwas Alkohol besser zu überstehen als ohne.
Wir Lehrlinge bekamen zur Belohnung für die Anstrengung etwas Weihnachtsgeld, zwischen 25.00 und DM 40.00, glaube ich. Wir haben uns natürlich darüber gefreut, obwohl es wenig war.
Im Oktober 1966 oder 1967, die Daten auf den Fotos sind nicht ganz klar, ging ich für circa sechs Wochen auf die Buchhändlerschule in Frankfurt Seckbach, wo wir auch alle im Internatsstil wohnten. Frau Haase und Herr Reich sahen wohl das zweite Lehrjahr als zu früh dafür an und wollten mich noch nicht dorthin gehen lassen.

Aber ich setzte es durch, denn diese sechs Wochen waren für die Lehrzeit vorgesehen und im Frühjahr 1968 war diese zu Ende. Sie erklärten sich dann auch einverstanden, denn ich war ja zum Weihnachtsbetrieb wieder zurück im Laden.

Bisher war ich einmal in der Woche in die Berufsschule gegangen, die zwar auch Literatur im Unterrichtsplan hatte, aber es war kein Schwerpunkt.
In der Buchhändlerschule stand die Literatur viel mehr im Vordergrund, was mir sehr gefiel. Die anderen Themenbereiche , die mit dem Handel zu tun hatten , sind mehr oder weniger an mir vorbeigegangen.

Außerdem traf ich Lehrlinge aus der ganzen Bundesrepublik und es waren viele interessante Leute dabei, die wohl zum Teil auch etwas älter und weiter in ihrer Entwicklung waren als ich.
Es waren ca 60 bis 80 Personen, jedenfalls eine recht große Gruppe, die sich am ersten Abend im Speisesaal versammelte.




Die Buchhändlerschule in Frankfurt Seckbach am Lohrberg





Die Großeltern Förstermann zu Besuch in der Buchhändlerschule


Diese Lehrlinge kamen entweder aus größeren Buchhandlungen oder hatten schon wesentlich mehr Literatur und Literaturgeschichte gelesen. Jedenfalls hörte ich über moderne Schriftsteller, über Bücher, über Kultur im allgemeinen mehr als in den ganzen letzten Jahren. Einer der Lehrlinge gefiel mir besonders gut. Ich war ein bisschen in ihn verliebt und er gab mir sehr viele Tipps zu Schriftstellern, die ich unbedingt lesen sollte. Er war ein bisschen exzentrisch, was ihn besonders interessant für mich machte.


Ich, Marlis aus Hildesheim, Gisela F. und Renate aus Wetzlar








Klaus G. in der Mitte und zwei andere Lehrlinge

Er kannte u.a. den 1962 gegründeten, linkspolitischen Club Voltaire in Frankfurt und wir gingen zu einer Veranstaltung mit Franz Josef Degenhardt, der dort seine schrägen, politischen Lieder sang. Wir sahen auch den Kabarettisten und Liedermacher Hans-Dieter Hüsch. Und wir gingen zum Jazz Club in der Nähe vom Club Voltaire. Das war alles neu für mich und hinterließ einen nachhaltigen Eindruck.
Als ich später nach der Lehre 1968 bei der Buchhandlung Mühlhausen arbeitete, ging ich nach der Arbeit regelmäßig in den Club, las Zeitungen dort, ging zu Veranstaltungen und lernte auch einen jungen Amerikaner, meinen ersten "richtigen" Freund dort kennen.

Jedenfalls waren die sechs Wochen in der Buchhändlerschule sicher die interessanteste Zeit während der Lehre.

Erwähnenswert ist vielleicht auch, dass ich viel später relativ häufig von dieser Lehrzeit träumte, noch in Frankfurt, aber auch hier in den USA. Es schien immer alles sehr wirklichkeitsgetreu zu sein in diesen Träumen und ich wachte jedesmal mit Erleichterung auf, dass ich diese Zeit hinter mir hatte. Aber offensichtlich hat diese Phase in meinem Leben einen recht tiefen Eindruck auf mich gemacht.

Copyright Gisela Förstermann 2010































































































































































1 Comments:

At February 24, 2010 at 10:14 PM , Blogger Scott Meyers said...

Noch ein spannender Beitrag! Ich habe ihn gestern Abend gelesen, dann bin ich heute wieder hierher gekommen, um einen Kommentar abzugeben, und ich wurde von den neu erschienenden Fotos überrascht. Jetzt mit Bildern! Es wird immer toller.

Das ist die dritte Autobiographie von "normalen Menschen," die ich gelesen habe. Alle Autoren haben wirklich interessante Geschichten zu erzählen, weil alle etwas Ausserordentliches erlebt haben, aber ich finde Ihre Story am interessantsten. Die Fotos tragen natürlich etwas Extra bei, aber ich finde den Text ganz einfach gut. Nachdem ich etwas gelesen habe, will ich immer noch mehr erfahren. Ihr Leben so gut beschreiben zu können ist eine Fähigkeit, die ich echt beneidige.

Ich freue mich sehr auf den nächsten Kapitel. Es kann nicht lang sein, bevor wir die Reise nach Indien indirekt leben, oder?

Scott

 

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