Monday, February 11, 2008

"Sommergewinn" und andere Jahrmärkte

Auf dem Sommergewinn Jahrmarkt, März 1953





Jedes Jahr, wenn sich der Februar seinem Ende näherte und der Schnee langsam aber sicher immer mehr zu Wasser wurde, konnte man auch bald an das kommende "Sommergewinn" denken. Es fand und findet immer noch am 20. oder 21. Maerz statt, dem offiziellen Beginn des Frühlings. Freilich war es zu dem Zeitpunkt oft noch recht kühl und unwirtlich.

(Hier hat sich ein Irrtum meinerseits eingeschlichen, den Karin Roehler (ehemals Husemeyer) gerade (Febr. 08) berichtigte: Das Sommergewinn findet immer 3 Wochen vor Ostern statt, ist also "beweglich". Ich hatte davon keine Ahnung, bin immer davon ausgegangen, dass es am Frühlingsanfang stattfindet. Dieses Jahr also schon am 1. März, wie sie mir sagte. Danke, Karin.)

Wir gingen in den frühen Fünfziger Jahren noch regelmäßig zum Umzug, der durch die Georgenstraße von der Weststadt zum Markt führte. Dort fand dann das "Streitgespräch zwischen dem Winter und der Frau Sonne" statt. Eine Strohpuppe der Figur des Winters wurde in einer mittelalterlich anmutenden Zeremonie spaeter am Nachmittag auf dem Jahrmarkt in der Katharinenstraße verbrannt.

Das Kind auf der rechten Seite des Fotos, auf der Schulter des Vaters sitzend, bin ich



Wir gingen zu den Zinns, die einen Laden direkt am Markt hatten und auch im selben Gebäude wohnten. Sie waren Mitglieder im Tennisclub und luden alle ein, die ein Interesse hatten, den Umzug von ihren Fenstern aus von oben zu sehen. Auf diese Weise waren wir weniger dem möglicherweise kalten Wetter ausgesetzt, aßen auch Kuchen, der angeboten wurde und amüsierten uns sehr.


Der Festwagen des Winters


Das Sommergewinn hat angeblich germanische Wurzeln, aber es wurde erst seit ca 1700 wieder belebt und zwar von "armen Leuten vor dem Georgentor. Vom Ende des 19. Jahrhunderts an entwickelte sich in Eisenach das alte Frühlingsfest mit dem Winteraustreiben und der Frau Sunna bis heute zu einem der letzten deutschen Feste dieser Art.
Seit 1897 ziehen die Festzüge des Sommergewinns alljährlich durch den Ehrensteig mit seinem farbenfohen Häuserschmuck." (aus: Eisenach Stadtführer, Herausgeber Eisenach Information, Hitzeroth Verlag, 1990)





Die Festwagen von Zinns aus gesehen


Nach dem Umzug ging die ganze Familie und auch einige der Freunde zur Katharinenstraße, wo der zum Sommergewinn gehörende Jahrmarkt aufgebaut war. Das war für mich der interessanteste Teil.
Auch dort kannten meine Eltern eine Frau vom Tennisclub, Frau Seedorf, die mit ihrem Sohn in einem Haus direkt am Jahrmarkt wohnte und die netterweise alle möglichen Freunde eingeladen hatte. (Auch sie hat in den Fünfziger Jahren die DDR verlassen, wie Karin mir bestätigte.) Es gab Berge von flachen Hefekuchen mit Obst oder Streuseln, Mohn oder anderen guten Dingen.
Ich ging dann mit meinem Vater hinunter zum Jahrmarkt, um mir die Buden und Karussells anzuschauen, während meine Mutter mit den Damen Kaffeeklatsch hielt.


Auf dem Karussell, was mir wohl ein bisschen unheimlich war





Das Riesenrad, auf das ich nie wollte, aber es sah schön aus





Die Luftschaukel, auch Schiffschaukel genannt, die ich sehr liebte und später oft auch allein benutzte



Das Sommergewinn war jedes Jahr wieder aufs neue schön für mich. Es gab Zuckerwatte, Thüringer Rostbratwürste und andere ungesunde Dinge, die wir alle gerne aßen. Vor manchen Buden standen Losverkäufer und ab und zu gewann ich ein kleines Spielzeug, so auch auf dem Foto oben, auf dem ich so glücklich grinse. Ich kaufte mir auch manchmal Murmeln auf den Jahrmärkten, vor allem die schönen Glasmurmeln.
Später, als ich schon zur Schule ging, machte ich auch alleine nachmittägliche Ausflüge in die Katharinenstraße zum Jahrmarkt. Ich ging auf die Schiffschaukel, manchmal mit einem anderen Kind, oft allein und fand das ganz himmlisch.
Natürlich gab es auch junge Männer, die mit der Schaukel Überschläge machten, also so stark in der Schaukel in Gang kamen, dass die Schaukel sich völlig um sich selber drehte. Sie standen dann für eine Sekunde "auf dem Kopf", bevor sie sich überschlugen nach der anderen Seite. Das war gewagt, aber auch an bestimmten Schaukeln erlaubt, die keine Hemmschwelle eingebaut hatten. Wir Kinder fanden das sehr abenteuerlich und bewunderten diese Kerle.

Karusselfahren war nicht meine Sache, mir wurde nur schwindlig davon, aber ich guckte gerne zu, auch vor dem Riesenrad stand ich gerne, aber das auszuprobieren, ging über meine Kräfte. Ich war nicht bereit, einen Fuß in dieses unheimliche Ding zu setzen. Ich erwartete, dass mir schlecht würde. Da das Rad sich aber ziemlich langsam drehte, wäre das bestimmt nicht passiert, aber ich war ängstlich, wenn es um solche von der Erde abgehobenen Dinge ging. Nur einmal im Leben, in Frankfurt, drehte ich ein paar Runden auf einem Kettenkarussell, was mir ganz gut gefiel und mir wurde auch nicht übel.
Meine Eltern ermutigten mich auch nicht, Karussell zu fahren. Eigentlich schade, aber ich hatte meine "Prioritäten", die Schiffschaukel, die Buden anzuschauen, der Drehorgelmusik der Karussells zuzuhören und die ganze Stimmung des Jahrmarktes mit Gerüchen und Geräuschen in mich aufzunehmen.
Das Sommergewinn wurde schon gegen Ende der Fünfziger Jahre zunehmend zum politischen Instrument fuer die SED. Einige Festwagen hatten immer häufiger politsche Themen. Die Jungen Pioniere marschierten mit, die Partei bestimmte mehr und mehr die Inhalte. Es ging nicht mehr nur um das Ende des Winters, den Frühling und Sommer, sondern um die krampfhafte Einführung von politischen Parolen. Es wurde langweiliger. Der Jahrmarkt blieb zum Glück der gleiche, nicht aber der Umzug.
Ich glaube, wir gingen nicht mehr so oft zu dem Umzug in den letzten Jahren in Eisenach, ich ging aber allein auf den Jahrmarkt.
Der folgende Text aus dem Heftchen zum Sommergewinn 1968 zeigt, dass der Klassenkampf usw. nie weit entfernt war. Er wurde überall eingewoben, egal, ob zum Thema passend oder nicht. Das hatte schon früher als 1968 begonnen, es war auch sicher dominierender geworden, aber es war schon zu unserer Eisenacher Zeit sichtbar.
Ich kann mich erinnern, dass die Erwachsenen bei den Zinns Witze darüber machten. Es wurde nicht ernst genommen, allerdings nicht unbedingt in der Öffentlichkeit, wenn Fremde hören konnten, was man sagte.
Die anderen Jahrmärkte, die regelmäßig auf dem Marktplatz bei der Georgenkirche und dem Rathaus stattfanden, waren für mich ebenfalls herrliche Gelegenheiten, meiner Freude daran zu frönen. Sie waren kleiner als der Sommergewinnsmarkt, aber näher und immer voller interessanter Dinge und Gestalten.
Ich erinnere mich besonders an einen Stand, der einer stattlichen Frau gehörte, die immer irgendwelche Haushaltsmittelchen zum Putzen oder Geräte zum schneiden von Gemüse etc. anpries. Sie stand unter einem grossen Schirm vor ihrer Ware und zeigte, wie man sie benutzte. Immer hatte sie eine größere Gruppe von Zuhörern, vor allem auch Männer, die ihr Scherze zuriefen, die ich meistens nicht verstand und die sicher anzüglich waren. Sie aber hatte einen grossen Mund und gab es ihnen schlagfertig zurück. Sie war witzig und hatte eine laute Stimme, ein richtiges Marktweib der alten Schule.
Ich war begeistert, sie immer wieder anzutreffen und ich glaubte, sie erkannte mich auch oder zumindest bildete ich mir das ein.
Einmal gab es auch einen Stand mit "Türkischem Honig". Mein Vater war wohl mit mir auf dem Markt und kaufte mir ein Stück, eingewickelt in Papier und wahnsinnig klebrig und süß. Er hatte das schon als Kind gekannt und dachte, ich mochte es auch. Das Zeug tropfte aber überall hin und verklebte die Hände, die Kleidung, die Zähne, einfach alles, obwohl mir die Farben des "Honigs" gefielen.
Dieser Stand war auch nur einmal auf dem Jahrmarkt, sicher zur Erleichterung vieler Mütter.
Dann gab es noch Stände, bei denen man 4 oder 5 Ringe über ausgestellte Preise wie z.B. Weinflaschen oder Plüschtiere der billigsten Art werfen konnte. Diese Reifen mußten über diese Preise fallen und nicht daneben, dann konnte man den Preis gewinnen. Ich weiss nicht mehr, ob mir das verlockend genug erschien, um 20 Pfennige auszugeben, aber zugeschaut habe ich, ob andere etwas gewinnen würden und es auch vielleicht einmal probiert, natürlich, ohne zu gewinnen.
Lose habe ich auch gekauft, da waren die Chancen für einen Gewinn zwar auch nicht viel besser, aber es war einfacher und die Preise waren niedriger por Los.
Ich habe solche und auch andere Arten von Märkten, Weihnachtsmärkte, Gemüsemärkte, Jahrmärkte, was auch immer nach Markt aussah, immer gerne besucht. Sie hatten etwas exotisches, das mich sehr anlockte. Als ich dann 1970/'71 in Asien war, habe ich viele der orientalischen "Basare" besucht und dann später in Frankfurt auch noch von diesen geheimnisvollen Orten geträumt.
Selbst hier in Amerika gibt es wieder mehr Märkte, Farmers Markets, die ich im letzten Jahr hier in Portland wiederentdeckte. Sie sind bunt, lebendig und haben Vielfalt und gute Qualität an Obst und Gemüse, Brot, Käse, Fisch usw. Ich gehe aber nicht nur wegen des Einkaufens dorthin, sondern wegen der Unterhaltung, des Leute-Beobachtens, wegen des "Exotischen", das Märkte für mich haben.


Copyright: Gisela Foerstermann 2008








































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